von Siméon Seiler
Trans und inter Menschen sind am «Frauen*streik» vom 14. Juni ganz explizit willkommen und mit aller Selbstverständlichkeit dabei – so versuche ich das «Sterndli» bei «Frauen*» zu lesen. Die Bezeichnung animiert dennoch zur Debatte.
Ich bin im Bus auf dem Weg an den Besammlungsort für den Umzug zum 1. Mai. Hinter mir stehen ein paar Menschen und freuen sich darüber, dass der «Frauen*streik» thematisch am Tag der Arbeit sehr präsent ist. Ich mich auch. Eine Person fragt in die Runde: «Du, was bedeutet denn jetzt dieses Sterndli genau?» Ich würde mich liebend gerne in das Gespräch einmischen, aber ich bleibe stehen, mit dem Rücken zu ihnen, so dass mich der visuelle Eindruck nicht ablenkt. «Na eben alle, die sich als Frau fühlen», antwortet eine andere Person.
Wozu das Sterndli?
Jetzt möchte ich mich nicht nur einmischen, sondern in das Gespräch reingrätschen, aber irgendwie habe ich gerade auch keinen Bock darauf, den «Erklär-Bär» zu machen. Ich freue mich auf den Umzug, darauf, viele politisch gleichgesinnte Freund*innen wiederzusehen. In meinem Inneren aber sage ich ganz laut und stampfe dazu heftig mit einem mentalen Fuss: «Nein! Denn wer sich als Frau ‹fühlt›, braucht kein Sterndli! Wer sich als Frau ‹fühlt› IST ganz einfach eine Frau!» Und ausserdem, ich als transmaskuline Person «fühle» mich überhaupt nicht als Frau, obwohl ich meistens so gelesen werde – darf ich dann am «Frauen*streik» dabei sein oder doch eher nicht?
<Randnotiz> Wer sich als Frau fühlt, braucht kein Sterndli
Die Schreibweise «Frau*» ist in den letzten Jahren weit verbreitet, aber meiner Meinung nach überhaupt keine befriedigende Lösung. Wer «Frau*» verwendet, versteht darunter in der Regel cis Frauen sowie trans und inter Menschen – diese seien «mitgemeint». Für mich entspricht bei «Frauen*» angeblich «mitgemeint» zu sein dem generischen Maskulinum, wo cis Frauen «mitgemeint» sein sollen. Darüber sind wir zum Glück in vielen Bereichen hinweg.
Über den cis Tellerrand hinausgeschaut
Wieso ich «Frauen*» im Kontext des «Frauen*streiks» doch einigermassen gelten lassen kann (wenn auch mit Zähneknirschen)? Klar hätte ich «Feministischer Streik» o.ä. vorgezogen. Aber erstens versuche ich, jene, die die Frauen*streikbewegung in der Schweiz angestossen haben, wohlwollend zu lesen. Denn das Sterndli ist ihr Versuch, über den cis Tellerrand hinauszuschauen. Sie haben sich bemüht, und das halte ich ihnen zu gute. Darum schreibe ich im Lead, dass trans und inter Menschen offensichtlich «explizit» willkommen seien am Frauen*streik. Sogar im Streikmanifest (siehe Link im Infokasten) haben sich die Initiant*innen mit trans und inter Themen auseinander gesetzt. Shout-out to that.
«Frauen*streik» als historischer Begriff
Zweitens sehe ich den Frauen*streik in seinem geschichtlichen Kontext. Am 14. Juni 1981 wurde der Gleichstellungsartikel in der Schweizer Bundesverfassung aufgenommen. Weil dem keine Taten folgten, wurde am 14. Juni 1991 gestreikt. Heute hat sich wenig gebessert, darum streiken wir am 14. Juni 2019 ein zweites Mal, eben am zweiten landesweiten Frauen*streik. Auch auf globaler Ebene besteht eine gleichnamige und ebenso historisch gewachsene Bewegung. Die Bezeichnung «Frauen*streik» betont also die historische Kontinuität der Missstände und die historische Kontinuität der Bewegung gegen selbige Missstände. Die Bezeichnung betont auch die Einbettung in eine globale Bewegung. Und mit dem Sterndli schliesslich betont sie die Einsicht, dass eine Öffnung hin zu einer diverseren Beteiligung nicht nur Sinn ergibt, sondern ein Muss ist.
Wir kämpfen den gleichen Kampf
Die Beteiligung von trans und inter Menschen am Frauen*streik ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, wir sind nicht als Gruppe organisiert. Doch als Einzelpersonen sind wir stark involviert und auch erkennbar, beteiligen uns an den Kollektiven, schreiben Texte, basteln Transparente, werden Reden halten. Gerade weil wir geübt im Kämpfen sind, sind wir wertvoll für die Bewegung. Und wir kämpfen schlussendlich den gleichen Kampf, nämlich jenen gegen patriarchale Ausbeutung, gegen die Vorstellung, dass alles, was nicht ausgeprägt «männlich» daher kommt zweitklassig sei, gegen den daraus resultierenden Missbrauch unserer Arbeitskraft, unserer Ideen, unserer Körper, unserer Geduld.
Darum: See you am 14. Juni 2019 @ Frauen*streik!
<Box Anfang> Weitere Infos: «FRAUEN* als Begriff einmal streichen bitte!» barrikade.info/article/683 Streikmanifest: www.14juni.ch/wp-content/uploads/2019/03/manifest-streikkollektiv_d.pdf9 www.14juni.ch frauenstreik2019.ch
Der Artikel erschien zuerst im HAZ-Magazin 2/2019