Stellungnahme Feministischer Streik/Frauenstreik Basel

TRIGGERWARNUNG: SEXUALISIERTE GEWALT/VERGEWALTIGUNG SOWIE VICTIM BLAMING DURCH BASLER APPELLATIONSGERICHT

Das Gerichtsurteil

Am 30. Juli 2021 hat das Basler Appellationsgericht die Strafe für einen Vergewaltiger von über 4 Jahren auf 3 Jahre gekürzt sowie einen Teil der Haftstrafe auf Bewährung ausgesetzt, wodurch sich das Strafmass defacto halbiert hat. Als Begründung der Strafmilderung nannte Gerichtspräsidentin lic. iur. Liselotte Henz (FDP) die kurze Dauer des Übergriffs und die nicht gravierenden physischen Verletzungen des Opfers. Als weiteren Grund führte sie die «Signale» an, welche die Frau vor der Tat gesendet habe. Im Club, in dem sich die Betroffene in der Tatnacht aufgehalten hatte, hätte sie muttmasslich Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt. Dies hätten die beiden Täterpersonen beobachtet, bevor sie die Betroffene nach dem Clubbesuch nach Hause begleiteten und anschliessend im Windfang ihres Wohnhauses vergewaltigten. Die Betroffene habe lauf der Richterin «mit dem Feuer gespielt.»

Quellen: bzbasel/20 minuten

Unsere Kritik

Die Urteilsbegründung suggeriert, dass die Betroffene eine Mitverantwortung für das Verhalten der Täterpersonen trägt. Wir kritisieren dies aufs Schärfste. Die Entscheidung, gegen den Willen einer Person Gewalt auszuüben, liegt immer bei den Täterpersonen alleine. Die sexuelle Selbstbestimmung, das Aussehen oder die Kleidung einer Person ist niemals eine Einladung dafür, dieser Person (sexualisierte) Gewalt anzutun und darf diese auch niemals entschuldigen.

Richterin Liselotte Henz führt eine moralisierende Begründung an, welche die Opfer von Vergewaltigungen in der Konsequenz zu Mitschuldigen macht, statt sich auf strafrechtlich relevante Argumente zu beziehen. Ihr eigenes moralisches Empfinden in ihr Urteil einfliessen zu lassen, ist in hohem Masse unprofessionell und hat in einem gerichtlichen Prozess nichts zu suchen!

Ebenfalls ist es aus unserer Sicht absolut verwerflich, die Dauer der Tat als einen Strafminderungsgrund anzusehen. Ob eine Vergewaltigung nun 11 Minuten oder mehrere Stunden andauert: in jedem Fall ist es ein extrem erniedrigende, gewaltvolle und schmerzhafte Erfahrung, die in den meisten Fällen schwerwiegende psychische und physische Schäden hinterlässt.

Durch ihre Aussagen macht sich Richterin Liselotte Henz zur Verbündeten der Täterpersonen und missbraucht ihre Machtposition. Sie betreibt Victim Blaming (deutsch: Täter*innen-Opfer-Umkehr).

Die Konsequenzen 

Ein solches Urteil hat unterschiedliche Konsequenzen. Zum einen werden Vergewaltiger*innen damit in ihrer Tat entlastet, zudem werden sie von staatlicher Instanz ermutigt das eigene Urteil anzufechten.

Das Gericht lastet dem Opfer eine Mitverantwortung an. Für Betroffene von sexualisierter Gewalt wirkt dieses Urteil abschreckend und erniedrigend, da es eine Mitschuld suggeriert – die wir klar zurückweisen. Der Schritt eine Anzeige zu machen und damit das eigene Recht einzufordern wird zusätzlich erschwert.

Gesellschaftspolitisch ist die Botschaft der Richterin extrem konservativ. Wer selbstbestimmte Sexualität lebt und für seine Grenzen einsteht, wird darin nicht ernst genommen, dafür blossgestellt und die Schuld wird an die Betroffene zurückgewiesen. Auch aus diesem Grund braucht es eine Überarbeitung des Sexualsstrafrechts nach dem Prinzip «Nur Ja heisst Ja»!

Berichterstattung in den Medien

Als wichtige Ergänzung möchten wir an dieser Stelle einen Auszug aus der Kritik der Linken POC vom 02.08.2021 (auf Facebook) teilen, in der zusätzlich auf die rassistische Berichterstattung der Medien eingegangen wird:

«In den Medien wird erwähnt, dass der Täter Portugiese ist. Die Nennung der Nationalität ist aus antirassistischer Sicht heikel: Seit jeher wird sexualisierte Gewalt rassifiziert, nicht nur aber vorallem von den Rechten. Statt konkrete Tat und Täter werden BIPOC generell, kollektiv und pauschal für sexualisierte Gewalt verantwortlich gemacht – das Problem Patriarchat wird rassifiziert. […] Durch eine Rassifizierung sexualisierter Gewalt werden Täter beschützt, solange sie weiss sind, dafür werden alle (und ausschliesslich) BIPOC und migrantische Männer unindividualisiert und pauschal für die (zumeist) von weissen Männern verübten Taten verantwortlich gemacht.»

Unsere Forderungen

Wir schliessen uns der Forderung von Agota Lavoyer (Leiterin Beratungsstelle Opferhilfe Kanton Solothurn) an: «Ich wünschte, es wäre obligatorisch, dass auch Richterinnen und Richter über die psychosozialen und gesellschaftspolitischen Aspekte sexualisierter Gewalt, etwa über Psychotraumatologie, geschult werden. Eine Vergewaltigung kann ohne rohe Gewalt ausgeübt werden, nur eine Minute dauern und trotzdem massive lebenslange psychische Folgen für ein Opfer haben. Als Opferberaterin weiss ich: Für die meisten Opfer einer Vergewaltigung entfällt der grösste Teil des Unrechts auf die Verletzung der sexuellen Integrität. Oder anders gesagt: Am schlimmsten ist die fehlende Zustimmung, also das Übergehen oder Ignorieren der intimsten sensibelsten Grenze, die ein Mensch hat.»

  1. Wir fordern eine selbstkritische Aufarbeitung dieses frauenfeindlichen und moralisch aufgeladenen Urteils am Basler Appellationsgericht. 
  2. Wir fordern vom Appellationsgericht eine sofortige Aufgleisung einer Schulung mit entsprechenden Expert*innen über die psychosozialen und gesellschaftspolitischen Aspekte sexualisierter Gewalt. 
  3. Zudem fordern wir den sofortigen Rücktritt von Gerichtspräsidentin Liselotte Henz.

Save the Date!

Es gibt Personen, die eine Demo am Sonntag, 8. August um 14 Uhr vor dem Appellationsgericht planen. Wir werden in Kürze auf unseren Kanälen darüber informieren.

Anlaufstellen für Betroffene

Opferhilfe beider Basel
061 205 09 10 
(Mo–Fr: 8.30–12 Uhr und 13.30–16.30 Uhr)

Frauenhaus Basel 
061 681 66 33 (Notfallnummer)

Männerbüro Basel 
061 691 02 02,